Über die Wahrheit im Bilde


von: Oliver Storz

INHALTSÜBERSICHT

  • Einführung 3
  • Bilder und andere Sehenswürdigkeiten – Eine Definition 4
  • Das Bild als Quelle der Wissenschaft 6
  • Theoretische Ansätze zur Objektivität des Fotos 7
  • Die Fotografie in der Volkskunde 9
  • Panofsky in der Praxis – Ein Analysebeispiel 12
  • Schlussbetrachtung 15
  • Literaturverzeichnis 17

“Der Fotograf soll so wenig wie möglich sich einmischen, sonst geht jener objektive Charme verloren, den die Fotografie ihrer Natur nach besitzt. Die Fotografie soll registrieren, sie soll uns Dokumente der Anschauung liefern.”
Henri Matisse (1869 – 1954), französischer Maler

1. EINFÜHRUNG

Die Fotografie ist zu einer visuellen Darstellungsform geworden, die zum Beginn des 21. Jahrhunderts aus vielen Lebensbereichen kaum wegzudenken ist. Ob in der Presse, in der Werbung oder in der Kunst, vor allem aber auch in der zeitgeschichtlichen Dokumentation – das Foto als vermeintlicher Beweis des Seienden oder Gewesenen hat einen Stellenwert erreicht, der längst weit über alle Formen der Visualisierung in der Moderne hinaus geht. Studien haben in den vergangenen Jahren hervor gebracht, dass mehr als zwei Drittel der erworbenen Information des Individuums nicht durch gedruckte Buchstaben, sondern eben durch Bilder aufgenommen werden.1 Dazu zählen auch Kunstwerke, Grafiken, Diagramme und ähnliches. Die Fotografie steht in einer langen Liste der Visualisierungsformen jedoch an oberster Stelle.

Die Wissenschaft hat sich lange Jahre schwer getan, dem Bild Anerkennung als Quelle zuzugestehen. Theorien der Kunstwissenschaft wurden inzwischen in zahlreiche Disziplinen übertragen, ebenso wie die zugehörige Methodik. Die Ikonographie, die “Betrachtung von Bildern nach ihren Figuren, Gegenständen u. Symbolen u. die Lehre von ihrer Entwicklung u. ihren histor. Zusammenhängen”2, ist zu einem Schlagwort der Diskussion insbesondere in der Geschichtswissenschaft geworden. Die Kulturwissenschaften, klassischerweise auch die moderne Volkskunde, traditionell eher arm an eigenentwickelten Forschungsmodellen, entleihen sich seit dem Beginn des “cultural turn”3 in den 1970er Jahren zunehmend Theorien und Methoden der Ikonographie aus den Nachbardisziplinen. Angeregt wurde diese Entwicklung nicht zuletzt durch Clifford Geertz, der 1964 die Eindimensionalität der Sozial- und Gesellschaftswissenschaften beklagt hatte4. In Anlehnung an den Begriff des “cultural turn” entstand schließlich die Rede vom “iconic turn”5. Allein die Entstehung des Begriffs zeigt auf, dass das Bild als Quelle zu einer zentralen Kategorie der Sozialwissenschaften geworden ist. Seit den 1970er Jahren hat sich eine Vielzahl von Arbeiten mit dem Bild im Allgemeinen und mit dem Foto im Besonderen befasst. Als unumstritten gilt inzwischen die Berechtigung des Nicht- Geschriebenen, als Quelle anerkannt zu werden. Weiter ein Thema des Diskurses bleibt aber die Frage nach dem Umgang mit dem bildlichen Material.6 Die zentrale Frage beim Umgang mit Fotografien ist vor allem deren Objektivität. Der vermeintlich hohe Anspruch an Authentizität muss bei genauer Betrachtung wenn nicht sogar verneint, dann aber zumindest relativiert werden. Diese Arbeit, die im Rahmen des Seminars “Kulturtheorien” am Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft an der Universität Tübingen im Wintersemester 2003 / 2004 entstanden ist7, greift daher zunächst die Fragestellung nach Objektivität bzw. Subjektivität des Bildes auf, zeigt Theorien der Decodierung des Fotos und die daraus resultierenden Methoden und mündet schließlich im letzten Teil in die beispielhafte Anwendung einer dieser Methoden.

2. BILDER UND ANDERE SEHENSWÜRDIGKEITEN – EINE DEFINITION

Was eigentlich ist ein Bild? Die Frage gehört zu den ältesten und zugleich zu den am wenigsten geklärten in der Philosophie und den anderen beteiligten Wissenschaften. Angesichts der herausragenden kulturellen Bedeutung von Bildern war diese Frage seit Tausenden von Jahren naheliegend und unabweislich. Die Frage nach der Bilddefinition warf unter anderem auch 1986 der amerikanische Sprachwissenschaftler W.J.T. Mitchell auf. Er unterscheidet Bilder schließlich in fünf Kategorien: grafische, optische, perzeptuelle, geistige und sprachliche Bilder. Sprachliche, perzeptuelle und geistige Bilder spielen in der Thematik dieser Arbeit keine Rolle, grafische und optische jedoch bedürfen einer genaueren Betrachtung.

[...]


  1. Tarcai Béla: Fotografien und Bildgebrauch um 1900. Zu sozialen Aspekten der Fotografie. In: Museumsverband Baden-Württemberg (Hg.): Beiträge der Tagung “Präsentationsformen von Fotografie” am 24. und 25. Juni 1994 im Reiß-Museum der Stadt Mannheim. Göppingen 1995

  2. Definition nach: Gerhard Wahrig: Wahrig. Deutsches Wörterbuch. Bertelsmann Lexikon Institut im Wissen Media Verlag. Gütersloh 2002.

  3. Andreas Reckwitz: Die Transformation der Kulturtheorien. Zur Entwicklung eines Theorieprogramms. Weilerswist 2000. S. 15-22.

  4. Clifford Geertz: The Interpretation of Cultures. Selected Essays. London 1993. S.208

  5. Im Internet: http://www.iconic-turn.de

  6. Vgl. Roland Barthes: Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie. Frankfurt/M. 1985; dagegen: Susanne Regener: Die DDR im Bild. Ikonographie des zweiten deutschen Staates. Vortrag an der Universität Erfurt 22. Mai 2003.

  7. Eberhard-Karls-Universität Tübingen: Kommentiertes Vorlesungsverzeichnis für das Wintersemester 2003 / 2004. Tübingen 2003.